Ein kleiner Komet
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EIN KLEINER KOMET



Ein kleiner Komet kommt tief aus dem All,
ein kleiner, kalter, steiniger Ball.
Die Sonne spendet ihm Wärme und Licht und bald
zeigt er sich am Himmel in seiner Gestalt.
Er zieht seine Bahn im All, Gesetzen folgt er gewiss,
entfernt sich dann wieder in die weite Finsternis.
Man weiß das aber und kann sich drauf freuen:
in zählbaren Jahren wird er´s Auge wieder erfreuen.


Ein kleiner Komet kommt tief aus dem All,
ein kleiner, kalter, steiniger Ball.
Sein Weg ist ein andrer: näher rasend schnell
kommt er der Sonne, wird gleißend hell.
Sein gerader Weg ins Zentrum führt
ihn ins Verderben, er explodiert.
Unvermeidlich ist sein Vergehen
und niemand wird ihn jemals wieder sehen.


Ein kleiner Komet kommt tief aus dem All,
ein kleiner, kalter, steiniger Ball.
Seine Bahn wird nicht von der Sonne geführt,
er merkt sie kaum, bleibt kalt und von ihr unberührt.
Zu schwach ist die Sonne, zu schnell ist der Stein,
unmöglich ist ein gemeinsames Sein.
Der Stein hat nicht die Chance zur Geborgenheit
und Millionen Jahre ist er verdammt zur Einsamkeit.



Auch der Menschen Leben ist bestimmt durch Gemeinschaft:
Eltern und Kinder, Bürger und Staat, die Staatengemeinschaft.
Bei all diesen Gruppen geht es ganz entscheidend darum,
wie die Kräfte verteilt sind zwischen Trabant und Zentrum.


Der eine Mensch geht seinen Weg, wählt ihn mit Bedacht,
beobachtet und gibt auf das Zentrum acht,
welches ihm einerseits Halt bietet und andrerseits die Möglichkeit gibt,
dass er auf eigenen Bahnen seinen Weg durchs Leben zieht.


Ein andrer Mensch wird eingefangen, hat seinen Weg nicht bedacht,
steuert direkt auf das Zentrum zu durch die des Zentrums übergroße Macht.
Als Niemand verschwindet er im Zentrum, verliert Identität und Namen,
hat kein eigenes Leben mehr, ist gefangen im beengenden Rahmen.


Ein andrer Mensch kümmert sich nicht um Zentren, will selbst auch keines sein,
hat nicht die Kraft zur Bindung oder geht gar keine Bindung ein.
Von diesem Menschen gibt es keine Geschichten,
niemand wird jemals über ihn und seine Taten berichten.


Sei als Trabant, als Begleiter an Deiner Richtung interessiert:
Wenn du zu sehr gedankenlos bist auf das Zentrum fokussiert,
wirst Du vereinnahmt und verschwindest spurlos in der Masse.
Verachtest du jedoch die Zentren und sagt: ich hasse
jede Art von Bindung – dann machst du all deine Chancen zunichte,
allein bleibst Du, bist nicht bemerkbar, bist nicht einmal Geschichte.
Ein kluger Begleiter bleibt im Abstand zur Mitte, wählt seine Richtung mit Bedacht
und ist sich sicher: Stabilität und Partnerschaft bleibt dauerhaft.


Und bist du einmal Zentrum, gibt es zu bedenken:
Die richtige Kraft, die richtige Anziehung den Partnern zu schenken
sichert dauerhafte, nützliche Bindung. Bist du aber aggressiv,
gierig und besitzergreifend, geht das ziemlich sicher schief:
Deine Partner gehen dir verlustig und du bist kein Zentrum mehr.
Das schwache Zentrum hat kein Umfeld und seine Umgebung, die bleibt leer.


Unbedachte Übermacht bringt Diktatur, Orientierungslosigkeit bringt Anarchie,
Gleiche Chancen für alle Partner bietet die echte Demokratie.
So schwierig auch all diese Beziehungen klingen – wir können da nur hoffen:
Kluge Zentren und kluge Begleiter halten den Weg in die Zukunft uns offen.


Lernen wir von den Kometen!



INFOBOX zum Text:

Kometen wurden von den Menschen seit jeher als Symbole betrachtet, sei es als Richtungsweiser, sei es als Unheilsbringer.

Wie mit der Lebensgeschichte von Kometen eine Gedankenverbindung zu menschlichen Verhaltensweisen hergestellt werden kann, zeigt der Text.

Der vorliegende Text wurde am 14.12.2016 beim 92. Poetry Slam in Leoben vorgestellt.





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